Blick auf die Arbeiten "Blumenteppich", nach einer Arbeitsvorlage von Ernst Ludwig Kirchner (Foto: AS/© Lise Gujer)

Teppichkunst von Lise Gujer

Dir ist der Name Lise Gujer kein Begriff? Dagegen soll die Ausstellung, gemeinsam vom Bündener Kunstmuseum Chur und dem Brücke Museum Berlin konzipiert, nun Abhilfe schaffen. Im Mittelpunkt der Schau Lise Gujer – Eine neue Art zu malen steht die 16-jährige Zusammenarbeit mit dem Brücke-Künstler und Expressionisten Ernst Ludwig Kirchner, den fast jeder kennt (komisch, oder?) und Lise Gujer, die lange Jahre nur als seine Gehilfin galt.

Ihre Biografie könnte direkt einen Roman füllen: Im Dezember 1893 in Zürich als drittes von fünf Kindern geboren, wächst sie in einer Villa Am Traubenberg in behüteten, finanziell gesichterten Verhältnissen auf. Der Vater arbeitet sich vom Metzger bis zum Direktor einer Lederfabrik hoch. Gujer besucht das Mädchengymnasium. Infolge von Asthmabeschwerden wird die damals 18-jährige ins Lungensanatorium Clavadel, nähe Davos, geschickt. Der Kurort ist schon zu dieser Zeit bei u . a. Tuberkulose-Patienten populär und spätestens durch Manns Zauberberg weltweit bekannt. Gujer freundet sich mit der Leiterin des Sanatoriums, Fida Gadmer an. Die umtriebige Geschäftsfrau eröffnet denn 1891 auch ein Kurhaus und Sanatorium, wo Gujer sie zunächst bei ihren Aufgaben unterstützt und bald selbst Patient*innen pflegt. Als 22-jährige begleitet sie zwei Kinder, deren Obhut sie in Davos innehatte, zurück zu ihrer Familie nach Buenos Aires. Auch Paraguay bereist sie wegen der guten klimatischen Verhältnisse (noch immer laboriert sie an ihrem Asthma) und lernt nun in beiden Ländern die vielfältige, südamerikanische Textilkunst kennen. Wegen der globalen Unsicherheiten während des Ersten Weltkrieges kehrt sie 1916 zurück in die Schweiz. Im Alter von 28 Jahren stürzt Gujer und bricht sich den Fuß auf so komplizierte Weise, dass sie seitdem eine mechanische Stütze tragen muss und nur noch eingeschränkt laufen kann.

Von der Pflegerin zur Weberin
Der Unfall bedeutete eine einschneidende Veränderung. Durch die körperliche Beeinträchtigung näherte sie sich – so wird vermutet – der Weberei. Sie zieht in ein Bauernhaus in Clavadel, wo sie einen alten Holzwebstuhl findet und beginnt, sich in die Webkunst zu vertiefen. Durch ihre Schulzeit in Zürich hat sie wahrscheinlich schon Grundkenntnisse, denn die Einführung in textile Techniken steht damals auf den Lehrplänen für junge Frauen in der Schweiz. Zur selben Zeit lernt sie über den lungenkranken Dichter Jacob Bosshart den seit 1917 in Davos lebenden Kirchner kennen. Der experimentierfreudige Künstler interessiert sich schon länger für die Textilkunst und schlägt Gujer eine Kooperation vor. Er ist für die Vorzeichnungen zuständig, sie setzt seine Ideen in Bildteppiche um. Aus dieser Gemeinschaft entstehen bis zu Kirchers Suizid rund 30 farbenprächtige Arbeiten, die größtenteils der Schweizer Bergwelt, ihren Tieren und Menschen wie auch dem Thema Tanz gewidmet sind.

Entwicklung zur eigenständigen Künstlerin
Nach einer längeren Schaffenspause fängt Gujer Anfang der 50er Jahre wieder an, ihre Arbeit am Webstuhl aufzunehmen. Der Zürcher Kurator Hans Bollinger, der eine große Kirchner-Ausstellung vorbereitet, regt sie dazu an. Er ermutigt sie, auf der Grundlage von Kirchners Vorarbeiten neue Bildteppiche zu kreieren. In dieser Phase stellt Gujer Variationen bereits vorhandener Motive als auch eigene Interpretationen Kirchners Werke her. Die letzten Jahre ihres Lebens füllt Guje, die 74 Lenze alt wird, mit Auftragsarbeiten und ihrer Rolle als emanzipierte, auch mal Zigarre rauchende Gastgeberin.

Vermittlungsraum mit erklärendem Glossar an der Wand und Kollektiv-Webstuhl, Foto: AS
Vermittlungsraum mit erklärendem Glossar an der Wand und Kollektiv-Webstuhl, Foto: AS

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