Falls Du Jamie Young und Nico Nice noch nicht kennen solltest, wird der Dokumentarfilm von Joscha Bongard „Pornfluencer“ Abhilfe schaffen. Der 27-jährige Regisseur beleuchtet den Alltag eines jungen deutschen Paares, das aus steuerlichen Gründen nach Zypern gezogen ist. Aber es handelt sich um kein gewöhnliches, sondern ein Amateurpornos drehendes, sogenanntes ‚verified couple‘. Im ersten Monat nach ihrem Start im Netz haben sie bereits 10.000 Euro verdient. Die angemietete Villa mit Terrasse und Fitness-Studio wirkt ein bisschen seelenlos, doch gibt es ausreichend Platz und Licht für die Drehs. Bongard gelingt es tatsächlich, die beiden in ihrem privaten Umfeld zu besuchen und begleitet sie zehn Tage lang bei ihrer Arbeit mit ihrem eigenen Onlineangebot plus direktem Abo-System: dem Posten, Tik-Token, Twittern, Fotografieren, aber auch mal den Einkäufen und Restaurantbesuchen.
Nico und Jamie, die im wahren Leben Andreea heißt und aus Rumänien kommt, setzen sich als erfolgreiche Geschäftsleute in Szene, die über eine simple Google-Suche in diesem Business gelandet sind. Bei den eigenen Dreharbeiten kümmert sich Nico um Regie und technischen Ablauf, wohingegen Andreea die Postproduktion übernimmt. Allerdings fordert das lukrative Geschäft auch seinen Tribut, die Familie ist weit weg, Freunde machten sich rar, denn Pornografie ist noch immer nicht so richtig gesellschaftsfähig. Vor allem Andreea scheint darunter zu leiden. Als Ersatz müssen kleine Kätzchen her. Nico ist da pragmatischer, er will einfach nur zur Riege der
Self-Made-Millionäre gehören.
Bongards, der zur Generation gehört, mit ständig verfügbaren, kostenlosen Internetpornos aufgewachsen zu, sein hofft nun, hinter die Fassade schauen zu können. Die Doku sollte als sex-positives Porträt angelegt werden, in dem das Geschäftliche im Fokus steht, jedoch wandelt sich das Blatt, und Auseinandersetzung mit Liebe, Scham, Beeinflussung, Erfolg und Geld rücken in den Vordergrund. Je länger die Filmcrew beobachtet, desto deutlicher wird, dass hier auch toxische Kräfte am Werk sind und sich Andreea in eine Art Abhängigkeit begeben hat. Das mag teils ihrer Jugend, sie ist sweet 22, sieht allerdings wie 18 aus, teils ihrer Herkunft geschuldet sein. Aber Unbehagen bereitet es dem Zuschauer trotzdem. Es wirkt geradezu grotesk, wenn sie Nico stets heftig beipflichtet, ihm nachplappert wie ein Papagei und sich zu Dingen überreden lässt, die sie nicht will. Zudem geschieht das fast ausschließlich lächelnd und devot. Dass sie sich ausbeuten lässt – Lovestory hin oder her – scheint ihr nicht in den Sinn zu kommen. Ganz klar, wer hier das Zepter in der Hand hat.
Das Paar zog jetzt übrigens nach Prag, weil in Tschechien resp. Osteuropa die Pornoindustrie boomt und die jungen Leute dort sehr dankbar für einschlägige Jobs sind. Und dreimal darfst Du raten, wer bei einem Sandwich, den Jamie und Nico inzwischen auch im Repertoire haben, hinzugezogen wird, Mann oder Frau?
Hervorzuheben ist die gelungen Machart des Films, der Dank des Editors und Motion Designers Wolfgang Purkhauser erfrischend hip im Desktop Setting daher kommt. Man wähnt sich als Zuschauer selbst in einem Videoclip, klick vor, klick zurück, Stop, speeding, freeze und alles auf Anfang. Ein vielschichtiges Langzeitdebüt, das auf einfallsreiche Art und Weise zeigt, dass das patriarchalische Weltbild nicht müde zu existieren wird, wenngleich es nun neue Kanäle nutzt.
KINO
ZUKUNFT am Ostkreuz, Kino 3
Laskerstraße 5, 10245 Berlin
ZEIT
So, 14.8., 16.00 Uhr
TICKETS
8-9 Euro