Screening von "Hausnummer Null", Foto: Anne Schüchner
Filmscreening von "Hausnummer Null" (Foto: AS)

„Hausnummer Null“

Zieh Dich für diesen Film warm an, denn um leichte Kost handelt es sich hier nicht! Aber der Reihe nach. Lilith Kugler, der wir den Film mit obigem Titel zu verdanken haben, zog 2020 aus Süddeutschland nach Berlin, um an der Konrad Wolf in Babelsberg zu studieren. Und wie das immer so ist, wenn man in eine neue Stadt kommt, kennt man erstmal niemanden. Kugler verschlug es nach Friedenau, es war Winter, es herrschte – Du erinnerst Dich – eine Pandemie und Lockdown. In dieser Ecke der Stadt lernte sie nun Chris kennen, der im öffentlichen Raum präsent, das heißt, obdachlos war. Sein Lager schlug er am Dürerplatz, links von der Autobahnunterführung auf.

Damaliger Schlafplatz von Chris, Foto: Anne Schüchner
Damaliger Schlafplatz von Chris, Foto: Anne Schüchner

Er hieß Kugler am S-Bahnhof herzlich willkommen, sie sehen sich häufig, irgendwann erwuchs die Idee, den jungen Mann, der ähnlich alt ist wie die Dokfilmerin, mal einen Tag mit der Kamera zu begleiten. Daraus wurden schließlich zweieinhalb Jahre.

Das Besondere: Chris ist nicht nur ohne Wohnsitz, sondern auch drogenabhängig. Er raucht Heroin. Du lernst ihn indes nicht als kriminalisierten Junkie, sondern als artikulationsstarken, rücksichtsvollen Menschen kennen. Im Laufe der Zeit weiß man ihn richtig zu schätzen und zu mögen, was wohl auch an seiner Phantasie liegt.

Chris befindet sich allerdings in einem Teufelskreis. Um sich einer dringenden Hepatitis-C-Behandlung zu unterziehen, müsste er von den Drogen abschwören. Durch die Krankheit ist er zu schwach dazu, jedoch hat er Glück im Unglück: Die hiesige Nachbarschaft ist besonders herzlich, alle versuchen, zu unterstützen, man bringt Tee bei Minusgraden oder kümmert sich um administrative und logistische Dinge. Und all dies, ohne dass sich Chris unter Druck gesetzt fühlt. Was ganz wesentlich erscheint, denn er ist schon lange durch Schuldgefühle geplagt.

Kugler und ihr Kameramann Stephan Voigt sind einen schweren Winter und diverse Sommernächte an Chris Seite. Er und sein Kumpel Alex erzählen erstaunlich offen, geben viel preis. Immer wieder denkt Chris an eine Rückkehr ins bürgerliche Leben. Du erfährst aber auch bei einem Besuch seiner Mutter in der bayerischen Heimat, dass Chris seit seiner Geburt mit der Welt nicht zurecht kommt und die Welt nicht mit ihm. Vermutlich hat er das Asperger-Syndrom. Der Film bleibt dran, um zu zeigen, wann Hilfe funktioniert und wann nicht. Um nicht zu viel zu spoilern: Am Ende geht es aufwärts, eine positive Entwicklung ist auszumachen: Chris hat eine eigene Wohnung, neue Zähne, einen Job und ist verliebt. Als Happy End kann das nicht gelesen werden, denn Zweifel bleiben stets, wenn man im Kreis der Sucht gefangen ist bzw. war.

Filmteam und Anwohner, Regisseurin Lilith Kugler in der Mitte, Foto: Anne Schüchner
Filmteam und Anwohner, Regisseurin Lilith Kugler in der Mitte, Foto: Anne Schüchner

Kugler ist ein aufwühlender, authentischer Film gelungen, bei dem sie subtil Fragen stellt (die Chris teils auch äußerst gewitzt beantwortet) und eine Filmsprache in Cinemascope-Format und Color Grading wählt, das sonst nur Spielfilmen zu eigen ist. Vielleicht gehst Du nach dem Screening auch mit offeneren Augen durch die Stadt, um zu gucken, was rechts und links passiert. Und nicht mehr so zu tun, als ginge das einen alles nichts an. Die Gesellschaft ist gefordert, einzugreifen, wenn Not am Mann ist. Soziales Engagement und Solidarität erweisen sich dabei als solide Stützen – so gut wie immer.
Einzig, das Wie und Warum Chris nach Berlin kam und in die Abhängigkeit rutschte, wurden nicht näher ausgelotet.

ZU SEHEN in folgenden Kinos:
Tilsiter Lichtspiele – Richard-Sorge-Straße 25 A, Friedrichshain
Do, 19.09. – Mi, 25.09.2024, jeweils 16 Uhr
Klick Kino – Windscheidstraße 19, Charlottenburg
Fr, 20.9., 15 Uhr, Sa, 21.9.24, 20 Uhr
Sputnik Kino – Hasenheide 54, Kreuzberg
Fr, 20.9., 18.15 und Mi, 25.09., 17.30 Uhr
Filmrauschpalast – Lehrter Str. 35, Tiergarten
Mo, 23.9.24, 18.45 Uhr

Am Montag, den 30.9. werden im Theater des Westens die 24. First Steps Awards verliehen. Dazu gibt es in der Woche zuvor eine Präsentation von jeweils drei nominierten Spiel- und Kurzfilme in der langen Nacht des jungen Films Nominiert ist u. a. Chris Weg aus der heroinabhängigen Obdachlosigkeit.
Delphi LUX – Yva-Bogen auf Höhe Kantstraße 10, Charlottenburg
Mi, 25.09.2024, 18.30 Uhr

Kino in der Kulturbrauerei – Schönhauser Allee 36, Prenzlauer Berg
beim Human Rights Film Festival: Sa, 05.10. -Fr, 11.10.2024

Cast und Crew
Regie + Drehbuch: Lilith Kugler
Kamera: Stephan M. Vogt
Musik: Valeriia Khazan
Schnitt: David Mardones

Daten und Fakten
Produktionsland: D
Filmlänge: 90 min
Filmverleih: Drop-out Cinema e.G.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert