Blick auf die Akademie der Künste am Hanseatenweg (Foto: Anne Schüchner)
Eingang Akademie der Künste, Foto: Anne Schüchner

Nancy meets Käthe

Nan Goldin, 1953 in Washington D.C. geboren, bekam im Alter von 15 Jahren ihre erste Kamera geschenkt. Damit fotografierte sie sich und ihre Freunde in tagebuchähnlicher Form. Zum prägenden Erlebnis wird der Suizid ihrer großen Schwester 1965, weswegen Nan diesem Milieu entflieht. Sie geht nach Boston, trifft dort auf ihre chosen family und lernt den Fotografen David Armstrong kennen, der sie mit der Queer- und Homosexuellen-Szene vetraut macht. Armstrong ist es auch, der ihr den Namen Nan gibt (eigentlich heißt sie Nancy) und mit dem sie bis zu seinem Tod 1994 eng verbunden bleibt.

Obwohl zwei aktuelle, intime und liebevolle Farbfotos ihrer Freundin Thora den Eingang der Schau bilden, wirst Du sogleich in die 70er Jahre zurück katapultiert. Nan beginnt schwarz-weiß zu fotografieren, wechselt dann aber zur Farbe, der sie bis heute treu bleibt. An der School of the Museum of Fine Arts in Boston macht sie ihren Abschluss und zieht 1978 nach New York. Hier arbeitet sie zunächst ausschließlich nachts in der Bar Tin Pan Alley, feiert viele Partys, konsumiert Drogen und durchlebt ihre intensivste, produktivste Phase, in der sie einfach alles fotografisch festhält.

Anfang der 80er Jahre definiert sie ihre Bilder zur Werkgruppe Ballade of an Sexual Dependency, die sie mit Musik von bspw. Maria Callas oder Velvet Underground unterlegt. Diese Ballade ist eine Diaprojektion, die sie zur 45minütigen Multi-Media-Präsentation von mehr als 600 Fotos ausbaut. Ihre Arbeitsweise ist stets ähnlich, sie nähert sich Protagonisten aus ihrem Umfeld an und versucht, diese in Grids (Rastercollagen) zu fassen. Sie fotografiert auf Diamaterial und druckt auf Cibachrome. Goldin denkt alle ihre Werkkomplexe stets neu und arrangiert die Bilder in jeder Ausstellung anders.

Auch hier wird nicht chronologisch oder anhand von Orten präsentiert, sondern Du kannst in etwas Atmosphärisches eintauchen. Besonders die dunkelblaue Farbe der Räume und ein schwarzer Rand um die Aufnahmen tragen dazu bei, dass die Fotos wie von hinten beleuchtet erscheinen. Immer spielt die Frage nach dem ‚Was passiert zwischen den Bildern?‘ eine Rolle. Die Grids bestehen teils aus Fotos, die in einer Zeitspanne von mehreren Jahrzehnten entstanden, auch Einzelbilder werden herausgelöst. Aber die Rasterkompositionen wirken ob ihrer Kompaktheit geschlossener und gereifter. Ende der 80er Jahre begibt sie sich in eine Entzugsklinik. Im Anschluss entsteht die Werkgruppe „Lost memories“, in der sie sich mit ihrer Drogenrezeption auseinandersetzt. Du siehst Aufnahmen von leeren Bettszenen, Doppelbelichtungen und Landschaften, die allesamt eigene Geschichten erzählen, und man fühlt sich beim Betrachten fast selbst wie auf Droge.

Ende der 80er Jahre setzt sie das Sterben durch AIDS in Szene, das im Freundeskreis leider auch um sich griff. Eine Ikone des Undergrounds – Cookie Möller – überlebte ihren Mann nur um sechs Wochen. Diese Todesbilder werden im folgenden Raum von harmonischen Fotos mit Umarmungsszenen der 70er und 90er Jahre kontrastiert, auf denen sie Freunde in Liebesposen zeigt. Hier gewinnt die Lichtführung oft an Bedeutung, die Goldenen Stunde funkelt auf Nacken und Oberschenkeln, aber auch den Einsatz von Blitz im engen Innenraum scheut Goldin nicht.

Die fast 70jährige hat einen engen Bezug zu Berlin. Bereits 1984 lief ihre o.g. Ballade im Arsenal. Anfang der 90er Jahre erhält Goldin ein DAAD Stipendium. Sie entwickelt die Ballade kontinuierlich weiter und erfährt zunehmend Anerkennung in der Kunstszene. Nun wird ihr am 3. März der Käthe-Kollwitz-Preis, anlässlich dessen die Konzipierung dieser Ausstellung erfolgte, verliehen. Mit ihr wird eine Künstlerin geehrt, die weltweit eine wichtige Rolle der zeitgenössischen Fotografie einnimmt und, die sich stets für die Freiheit der Menschen, deren Sehnsüchte nicht zu klassifizieren sind, einsetzte. Mit ihren Arbeiten gab sie jenen eine Stimme in der Gesellschaft und rief damit beharrlich zur besseren Akzeptanz auf.

AUSSTELLUNGSORT
Akademie der Künste
Hanseatenweg 10, Berlin-Tiergarten
U-Bhf. Hansaplatz oder S-Bhf. Bellevue

LAUF- UND ÖFFNUNGSZEITEN
bis 16. April 2023
Di-Fr 14-19 Uhr
Sa + So 11-19 Uhr

EINTRITT
6 Euro

PREISVERLEIHUNG
Fr., 03. März 2023,  20 Uhr, ggf. gibt es noch Restkarten

Tipps zum Vormerken:
Die AdK zeigt am Sonntag, 5. März, 19.30 Uhr Laura Poitras Preview „All the Beauty and the Bloodshed“ über Nans Kampf gegen den Pharmakonzern der Unternehmerfamilie Sacker (auf den ich nicht weiter eingegangen bin, nur soviel, sie wurde nach einer Hand-OP 2014 vom einem Schmerzmittel o.g. Pharmaunternehmens abhängig bzw. rückfällig und gründete 2017 als Aktivistin, die sie auch ist, die Kampagne P.A.I.N.)

Die Neue Nationalgalerie stellt 2024 eine Ausstellung auf die Beine, die Nan Goldin explizit als
Multimedia-Künstlerin zeigt.

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