… bekommt man auch nicht alle Tage zu Gehör. Aber Dank Autorin Katja Oskamp, die uns Einblicke in jenes Business gewährt, lernen wir die skurrilsten Kunden des Berliner Studios kennen. Ihr Buch „Marzahn, mon amour. Geschichten einer Fußpflegerin“ wurde für die Aktion „Berlin liest ein Buch“ ausgewählt und avancierte damit, wenngleich nur kurz, zum Stadtgespräch. Denn dann setzte Corona zum Landeflug in Deutschland an, das kulturelle Leben inklusive Lesungen und anderer Veranstaltungen lag brach.
Dies wird jetzt nachgeholt, und die in Friedrichshain lebende Oskamp, die im März 2015 zur Fußpflegerin umschulte und in Charlottenburg an der Akademie für Heilberufe und Kosmetik eine Ausbildung bei Gitta absolviert, komplettiert das Trio um Chefin Tiffy und Nageldesignerin Flocke, einst als Tresenkraft in der Berliner Gastroszene tätig.
In wunderbar kurzweiligen Geschichten kannst Du unter anderem auf Frau Guse treffen, die ihre fünf Kinder allein groß zog, weil sie ihren Mann bereits im Alter von 45 Jahren verlor. In den Neunzigern kehrte sie dem Prenzlauer Berg den Rücken und kam nach Marzahn, wurde vom Brustkrebs ereilt, lässt sich aber nicht so schnell kleinkriegen. Ihre eigene Beerdigung hat sie allerdings schon bezahlt.
Oder das Unikum Frau Blumeier: Mitte 60, sieht aber locker zehn Jahre jünger aus, ist in schnittigem Elektromobil unterwegs, weil man 1955 bei ihr eine Art Kinderlähmung diagnostizierte. Die Ärzte rieten zur Sonderschule, ihre Eltern schicken sie auf jedoch auf die normale Polytechnische Oberschule, sie schließt ab, wird Sekretärin, heiratet. Wiederum die Weißkittel raten ihre von einer Schwangerschaft ab, sie kriegt dennoch einen Sohn. Der Betrieb wird abgewickelt. Ihr Mann stirbt an Leukämie. Aber ein echtes Stehaufmännchen (oder kann man hier auch -frauchen sagen) ist und bleibt kein Kind von Traurigkeit. Sie trifft Jugendfreund Lutz wieder, mit dem sie Bootstouren unternimmt und eines Tages sogar ihr Bett im Marzahner Zwölfgeschosser zum Einkrachen bringt.
Auch taucht im Buch ein waschechter Parteifunktionär auf: Herr Pietsch. 1941 in einfache Verhältnisse hineingeboren, studiert an ABF, wird Lehrer, wechselt beruflich, startet die Funktionärslaufbahn bei der FDJ in Thüringen und wurde zum jüngsten Kreispartei-Sekretär in der DDR der 70er. Mit seinen häufigen Reisen ergab sich sogleich munteres Fremdgehen. Es kommt, wie es kommen muss, die Ehefrau erwischt ihn, schmeißt ihn aus gemeinsamer Wohnung, lässt sich scheiden, und er bezieht 1989 eine Ein-Raum-Wohnung in Marzahn. Fünf Bypässe in einer achtstündigen Herz-OP halten Eberhard Pietsch aber nicht davon ab, der attraktiven Fußpflegerin Katja stets einen Piccolöchen mitzubringen und sich von Zeit zu Zeit zu erkundigen, ob sie vielleicht Lust auf Sex mit ihm hätte.
Geschichten, die man sich köstlicher gar nicht ausdenken kann, die das wahre Leben schreibt, fasst Oskamp in ihrem 142 Seiten Büchlein zusammen, das großen Spaß macht, mit der Berliner Schnauze und Verve geschrieben ist und sich hervorragend zum Verschenken eignet.
LESUNGEN
Mi, 21.09.2022, 19:30 Uhr
Tagespflege Hoffmannsgarten, Schmiljanstraße 21, 12161 Berlin-Friedenau
Fr, 23.09.2022, 19 Uhr
Buchhandlung Seitenblick, Falkenplatz 9A, 13505 Berlin-Reinickendorf
Die, 27.09.2022, 16 Uhr
Stadtteilzentrum Pauline, Pauline-Staegemann-Str. 6, 10249 Berlin-Friedrichshain
Mi, 28.09.2022, 20 Uhr
Lettrétage/Acud, Gesprächsreihe „Let’s talk about class“, Veteranenstraße 21, 10119 Berlin-Mitte
Moderation: Katharina Warda und Paula Fürstenberg
FAKTEN ZUM BUCH:
Marzahn, mon amour – Geschichten einer Fußpflegerin von Katja Oskamp
Erscheinungsdatum: 22.07.2019
Preis: 10 Euro
Suhrkamp-Verlag