Der Lange und Locke aus "Wir waren Kumpels", Foto: filmperlen
Filmstill. Der Lange und Locke im Schacht von Ibbenbüren, {Foto: filmperlen}

Ein Stück Heimat geht verloren

Die Dokumentation „Wir waren Kumpels“ bietet dem Bergwerk Ibbenbüren in NRW und seinen Mitstreitern eine großartige Plattform. Es gehörte zu letzten deutschen Steinkohlenbergwerken, in denen noch bis Sommer 2018 Kohle gefördert wurde.

Die Entstehungsgeschichte der Doku ist für Dich sicher interessant: Filmemacher Christian Johannes Koch hatte einen persönlichen Kontakt zum Bergwerks-Direktor in Ibbenbüren. Dieser lud ihn ein, mal vorbeizukommen. Christian fand mit der Zeche einen äußerst spannenden Ort vor und holte Jonas Mattauschek als auch Kameramann Sebastian Klatt mit ins Boot. Das Trio begab sich im Sommer 2018 auf packende Entdeckungsreise, stets im Hinterkopf, dass die Zeit abläuf: Denn Ende 2018 wird offiziell mit dem Steinkohleabbau in Deutschland Schluss sein.

Sie bekamen nun die einmalige Chance, in 1600 Metern Tiefe – mit ihrer hochlauflösenden und lichtempfindlichen Kamera – zu drehen. Aber, weil manchmal in der Tiefe hochexplosive Methangase entstehen, war es nicht möglich, herkömmliche elektronische Geräte mit nach unten zu nehmen. Es musste also eine vom Bergbauamt abgenommene Kamera her. Diese war in einem 15 kg schweren Stahlgehäuse eingebaut und nicht wirklich handlich. Dennoch entstanden großartige, von einer speziellen Ästhetik geprägten Bilder.

Im ersten Filmabschnitt dreht sich alles eher um die Kohle und die Abläufe im Werk. Im zweiten Teil dann werden die Kumpels, die dort arbeiten, porträtiert. Mit ihren sehr offenen Protagonisten haben die Filmemacher Riesenglück. Über die Jahre lernte sich alle einander immer besser kennen, eine gewisse Vertrautheit entsteht – was den Aufnahmen nur zugute kommt.

So triffst Du als Zuschauer auf den Langen und Locke, Kollegen und beste Kumpels. Noch schieben sie zusammen Schicht mit der Gewissheit, ihre Arbeit zu verlieren. Du spürst die Ambivalenz. Einerseits gibt es in vielen Bereichen Umstrukturierungen, Menschen ohne Job. Für alle hier im Werk heißt es, sich in der Zukunft neu zu orientieren, in neuen Berufen, neuen Hobbys. Die Friday-for-Future-Bewegung nahm damals gerade Fahrt auf und wird Thema in den Familien zuhause. Man diskutiert die Zukunft, Politik, Alternativen. Locke bleibt arbeitslos und kann erst jetzt nach all den Jahren der Maloche reflektieren, was war und kommen wird. Der Lange schult um und wird Busfahrer. Dennoch gelingt es Locke, ihn zu einem gemeinsam Urlaub im Wohnmobil zu überreden, sie reisen nach Frankreich und suchen das Meer.
Auch Kiri, der im Alter von 14 Jahren aus Sri Lanka nach Deutschland kommt, nimmt großen Raum in Film ein. Er fand in dem Berkwerksjob seine erste Arbeit als Lokführer (eingangs noch als Jim Knopf verspottet) und blieb es bis zum Schluss. Die Zeche bot ihm eine Art Heimat – neben seiner Frau und dem in Deutschland geboreren Nachwuchs. Über Umwege fand er schließlich sein Glück als Lehrer mit tamilischen Kindern.
Trans* Frau Martina hingegen ist die einzige Frau (außer jenen auf Pin-up-Kalendern oder in der Verwaltung), die je in Deutschland unter Tage im Steinkohlebergbau gearbeitet hat. Auch sie begleitet das Team, teils bei sehr intimen Szenen wie beim Schminken, Stimmtraining oder bei alten Freunden, die sie noch vor ihrer Transition kannten. Inzwischen wechselte sie von Schwarz nach Weiß, in den Salzbergbau und arbeitet dort als Dispacherin.
Dass entstandene Gesamtbild des Films ist erfüllt von einer gewissen Melancholie, die Kamera fängt bewusst gesetzte Licht- und Schattenpunkte ein. Dass die Spannung von unter Tage mit nach oben befördert wurde, gelingt dem Kameramann mit seinen Bildern sehr gut. Eingebettet sind diese in der Suche nach Verletztlichkeit der Protagonisten, nach Brüchen in der Männlichkeit, um so den genretypischen Bergbaufilm zu konterkarieren.

Das Resultat ist sowohl wichtiges Zeitdokument als auch eine exzellent gefilmte, dokumentarische Erzählung über die Vergangenheit unter Tage und den Beginn vom Rest des Lebens, vortrefflich im Abspann mit Mittekills Song Dohlengarten unterlegt.

LÄUFT DERZEIT IM:
Delphi LUX,
Kantstraße 10 / Yva-Bogen,
Berlin Charlottenburg
Sonntag, 17.3.2024, 11.20 Uhr

KROKODIL
Greifenhagener Str. 32,
Prenzlauer Berlin
Mit, 13.3.2024, 21.12 Uhr

CREDITS_
Länge: 104 Minuten
Buch und Regie: Christian Johannes Koch & Jonas Matauschek
Produktion: ELEMAG PICTURES und CATPICS


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