Die Alte Feuerwache – einer der schönsten Ausstellungsräume Berlins – lädt in ihre lichtdurchfluteten Räume zu dieser wunderbaren Ausstellung ein. Leiter des Photocentrum Kreuzberg, Peter Diesgen und Kursleiter Peter Fischer Piel präsentierten in „Schwarzweiß – das andere Gedächtnis“ an einem lauschigen Freitagabend die Resultate ihre Zöglinge. Was macht ein Foto interessant, was macht ein gutes Foto aus? Ist es das Foto an sich, seine Größe, seine Rahmung, seine Passepartourierung, oder geht es um das Motiv, das Thema, das Genre oder die formale Ästhetik, die jedem Foto innewohnt? Das waren Fragen, die es als Basis zumindest im Geiste zu beantworten galt.
Filmkritiker André Bazin stellt bereits 1945 fest: „In der Fotografie verhalte sich das fotografierte Objekt zu seinem Modell wie der Finger zu seinem Abdruck“. Bazin hat die digitale Welt nicht mehr kennengelernt, aber sein berühmter Satz betraf die Fotografie in Schwarz-Weiß. Demzufolge muss auch die Schwarz-Weiß-Fotografie etwas mit Abbildung der Realität zu tun haben, obwohl sie natürlich abstrakt ist. Es scheint also ein anderes Betrachten, eine andere Erinnerung an etwas Erlebtes oder Gesehenes zu sein, das Schwarz-Weiß-Fotografie ausmacht – kurz: Ein anderes Gedächtnis.
Was ist das nun – ein anderes Gedächtnis? Das kann in der Schwarz-Weiß-Fotografie die Konzentration auf das Spiel von Licht und Schatten, auf Kontraste, Linien, auf Formen und Strukturen sein. Also die Bildkomposition allgemein. Was wir sehen, ist nicht die Realität, denn die ist ja in Farbe, sondern das Abgebildete entspricht unserer Vorstellung von Etwas. Und darin liegt ja auch das Besondere der Schwarz-Weiß-Fotografie, sie lässt uns innehalten und stimmt uns nachdenklich.
Wolf Abraham zeigt mit seinen „Marginales“ eine Fülle großformatiger, quadratischer Bilder. Er nimmt unbemerkt Situationen auf, deren Kompositionen an ein surrealistisches Werk aus 20er Jahren erinnern. Dagegen präsentiert Thomas Grimm mit seiner Serie „Leaving Leverkusen“ Fotos mit Brücken, Straßen, Gebäude und Parkhäuser. Doch irgendwas irritiert. Und dann bemerken wir Figuren aus der Serie ‚Star Wars‘, die dort nicht hineinpassen. Landschaftsfotografie ist das Thema von Frank Köckritz. Er hat die Serie „Dresden – Berlin“ aus einem fahrenden Zug aufgenommen. Am Ende konnte er grandioserweise eine filmähnliche Sequenz daraus konstruieren. René Minkels Bildstecke „Das gehämmerte Gedächtnis“ verweist zum einen auf den Titel des Projekts, zum anderen gibt sie einen Eindruck auf die Zeit nach dem Berliner Mauerfall wider. Die schwarz-weiß Fotos von Wilfried Püschel, die allesamt in der Nacht fotografiert wurden, lassen dem Betrachter viel Raum, über eigene Gedanken und Erlebnisse nachzudenken. Traumähnliche Zustände werden geweckt, unscharfe Erinnerungen stellen sich ein. Mit ihrer Serie Pflanzen ist Ingrid Metzer-Hoffman am Start. Hier erfährt die Schwarz-Weiß-Fotografie ein besonderes Remake, denn die Aufnahmen erscheinen alle, als seien sie experimentelle Bauhausfotografien des letzten Jahrhunderts. Was ein geschwungener schwarzer Stil einer Pflanze in einem vollkommenen weißen Umfeld auszudrücken vermag, lässt sich in ihren Arbeiten entdecken. Wilhelm Schünemann hat in seiner Serie „Kulturbauten“ alle Aufnahmen mit einer einfachen Lochkamera fotografiert. Er suchte dabei nur Gebäude, die nach dem Zweiten Weltkrieg gebaut wurden auf, und solche, die das kulturelle Leben von Berlin heute ausmachen. Und doch erscheinen einem die Arbeiten so, als seien sie vor langer Zeit gemacht worden. Peter Fischer-Piels Fotos vom Südwestkirchhof Stahnsdorf – einem der schönsten Friedhöfe in ganz Europa – runden die gelungene Schau verwunschen ab. Die Erkenntnis in der Geschichte der Fotografie, dass jedes Foto ein Zeugnis gegen das Verfließen der Zeit darstellt, wird einmal mehr untermauert.
LOCATION:
Alte Feuerwache
Marchlewskistraße 6
Berlin Friedrichshain
ÖFFNUNSGZEITEN:
Pfingstmontag: 11 –19 Uhr
Die, Mi, Do: 11 –19 Uhr
Fr, Sa, So 12 – 20 Uhr
bis zum 12. Juni 2022
EINTRITT:
frei