Austellungsplakat an Litfasssäule (Foto: AS/©Dayanita Singh)

Tanz mit der Kamera

Obwohl die Künstlerin Dayanita Singh bereits von fast zwanzig Jahren eine Ausstellung im Hamburger Bahnhof bespielte, hatte ich diesen Namen nie zuvor gehört. Nun taucht die Inderin mit der Schau „Dancing with my Camera“ wieder in Berlin auf, ein Grund mehr den dunklen Fleck etwas zu erhellen.

1961 in Neu-Delhi das Licht der Welt erblickend, wurde sie quasi in die Fotografie hineingeboren. Ihre Mutter war eine beharrliche Fotografin und Albummacherin, in ihren Bildern ging es allerdings fast nur um sie selbst. Dayanita sträubte sich anfangs, wurde dann aber auch Fotografin, weil es sie es als ihr Ticket in Freiheit begriff. Sie sei Künstlerin geworden, um nicht in Schubladen gesteckt zu werden, sagt sie.

Bei ihrem ersten fotografischen Projekt begleitet Singh ihren Mentor und Musiker Zakri Hussain auf seinen Tourneen. Dabei hat sie die Kamera immer auf der Höhe ihres Bauchnabels, sie behält immer Augenkontakt und geht oft tänzelnd auf ihr Gegenüber ein, woraus sicher der Titel der Ausstellung resultiert. Mit nur vier Winkelhaken befestigt, wird eines seiner Porträts in Buchform gezeigt.

Seit den 80er Jahren fragt sich die resolute 61-jährige, wie sie ihre größtenteils Schwarz-Weiß-Aufnahmen am besten präsentieren soll. Reine Fotos an der Wand sind nicht nach ihrem Geschmack. Die Antwort auf ihre Fragen fand sie dann in der Architektur oder auch Musik. Singh will die Genre vermischen, Konventionen aufbrechen. Also wird die Präsentation genauso zum Teil ihrer künstlerischen Arbeit wie die Motive der Aufnahmen: Oft Innenräume und Menschen, viele davon aus ihrem privaten Umfeld, die sie zum Teil über Jahrzehnte begleitet hat.

Präsentation im Lederkoffer, (Foto AS /©Dayanita Singh)
Präsentation im Lederkoffer, (Foto AS /©Dayanita Singh)

Sing möchte, dass die Besucher ihre Bilder erleben, darum herumgehen, so wie man es mit Skulpturen macht. Oder auch dass man ihre Arbeiten liest, wie man einen Gedichtband liest. In den meisten Räumen hängen Bücher an den Wänden, und die eigentlichen Abzüge sind in den sogenannten mobilen Museen verstaut. Um eine komplette Ausstellung zu zeigen, braucht man nur 88 Bücher in vier Koffern. Für die Bilder schafft sie Architekturen und versucht, sie in Sequenzen zu zeigen, die den Betrachter auffordern, den Bilder so zu begegnen, dass deren eigene Vorstellungskraft miteingebracht wird. Für Singh ist die Fotografie stets Rohmaterial, Ausgangspunkt und kein Selbstzweck.

So landen beispielsweise ihre Bilder in Faltbüchern und damit als Ausstellungsobjekte in hochwertig gefertigten kleinen Wandvitrinen. Oder in möbelartigen Strukturen wie Paravents, Tischen, Kabinetten aus Teakholz, wo sie wie in großen Setzkästen neben- und übereinander angeordnet sind und immer mal gegen andere ausgetauscht werden können, je nach Art der Aussage oder Intension der Wirkung. Dieser spielerische Umgang fasziniert, und man bekommt richtig Lust, es mal mit einem eigenen Leporello auszuprobieren.

Einzig Schade, dass konkrete Bildtitel fehlen, so hätte man gern gewusst, wo sich das Museum mit den Gesteinen befindet, die Collagen der marmorbekleidenden Innenräume entstanden. Aber das schmälert das Vergnügen der umfassenden Werkschau einer kreativen Frau, die das Buch aus den Regalen befreit, nur äußerst bedingt.

Zu sehen:
noch bis 7. August 2022
Mi bis Mo 10–19, Do 10–21 Uhr, dienstags geschlossen

Museum:
Gropius Bau
Niederkirchnerstraße 7
10963 Berlin

Eintritt:
15 € /erm. 10 €

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