Regisseurin Vera Maria Brückner nach dem Screening (Foto: AS)
Regisseurin Vera Maria Brückner nach dem Screening (Foto: AS)

Waghals mit Mut gepaart

Vera Maria Brückner hat einen Abschlussfilm an der HFF München hingelegt, der einen nur so packt. In Sorry Genosse erzählt die 1988 Geborene eine fulminante Fluchtgeschichte, der zugleich eine berührende Lovestory innewohnt.

Kurz zum Plot: Die Protagonisten lernen sich 1969 auf einer Familienfeier in Oberellen bei Tantchen kennen. Wie, Du hast noch nie von diesem Ort gehört? Ich bis dato auch nicht. Er liegt in Thüringen, gar nicht so weit von der westdeutschen Grenze entfernt. Und da haben wir auch schon die Krux. Hedi lebt in der DDR, wird in Jena studieren und Karl-Heinz in Bayern, später Frankfurt am Main. Bei beiden funkte es sofort, jedoch passierte an jenem Nachmittag nicht viel.
Wirklich kennengelernt haben sich sich dann über jahrelangen Briefwechsel. Die Liebe wuchs und wurde so groß, dass Linksaktivist Karl-Heinz beschloss, hinter den Eisernen Vorhang zu ziehen. Natürlich hatte die Stasi ihn bald auf dem Kieker und versucht, ihn als Spion in Westberlin zu gewinnen. Irgendwann reicht es dem Paar dann komplett, und zu einer Osterfeier 1973 laden sie im Bewusstsein, demnächst ihre Flucht anzutreten, zu einer Art Abschiedsparty. Nur können sie so gut wie niemanden in ihre Pläne einweihen. Hedi reist nach Rumänien, gibt sich bei der Polizei als Westdeutsche aus und behauptet, ihr Pass wäre gestohlen Dass diese abstruse Idee nur mit Hilfe von Freunden (Gitti und Lothar) aus dem Dunstkreis Karls-Heinz‘ möglich wird, ist klar wie Kloßbrühe.

Die Reise wird nun mit einem Animationsanteil bebildert, was den Film trotz Ernst der Lage – Kalter Krieg, Ceaușescu-Diktatur, Geheimdienst-Operationen – angenehm leichtfüßig macht. Immer wieder werden Fotos, Dokumente, Fernsehszenen aus Archiven, teils grobkörnig und auf Cinemaskop Format gebrachte Bilder hineingeschnitten, was für eine authentische Atmosphäre der 70er Jahre, in denen sich die Geschichte abspielt, sorgt.

Splitscreen aus Studioaufnahmen des Film: Hedi hält Pass hoch (links), Karl-Heinz (re), © W-FILM/ Nordpolaris

Der Mittelteil der Flucht in knallig farbigen Räumen ist im Studio entstanden, Pässe und Stempel sind kreativ nachgebaut. Und herrlich auch die Zeitung namens „Der Plan“, die im BILD -Look mit RAF-Anleihen ganz wunderbar rüberkommt. Dass sich als Drehort ein wenig frequentiertes Hotel im Odenwald mit jeder Menge original 70er Jahre Interior ergibt, wo sich Hedi und Karl-Heinz ihre Briefe vorlesen, erweist sich als absoluter Fünfer im Lotto.

Passend zum Tenor ist genauso die musikalische Untermalung des Films. Sie stammt komplett aus einer Hand: Studierte Filmmusiker covern in ihrer Band Ton Steine Scherben. Weil Musikrechte zu kaufen irrsinnig teuer ist, griff Brückner auf diesen Kniff zurück. Dass der Film immer wieder Spannung aufbaut und es ist eine ganz stringente Erzählstruktur gibt, liegt sicher auch mit daran, weil Brückner ein Drehbuch schrieb. Da es so wahnsinnig viele Details gab, war es ihr wichtig, alles zu sortieren und die ganze Geschichte verschriftlicht zu haben. So gelingt es vortrefflich, an bestimmten Stellen subtil Humor einzubauen und für Überraschung zu sorgen. Der Preis lag hoch: Acht Monate lang musste das Material geschnitten werden.

Um nicht zu viel zu spoilern, nur soviel: Trotz einiger Pannen, Missverständnissen und Gemütsbewegungen gelingt diese abenteuerliche Flucht. Hedi kommt in Frankfurt an, kann dank einer Freundin, die ein wichtiges Dokument über die Grenze schmuggelt, ihr Medizinstudium beenden und kriegt zwei Kinder. Karl-Heinz, der sowohl der BRD als auch der DDR immer kritisch gegenüber stand, verabschiedet sich irgendwann von Demos, studiert auf Lehramt und wird stellvertretener Direktor einer Schule.

Die eigentliche Heldin des Film ist jedoch Gitti. Ihr gebührt riesiger Dank, denn sie trägt eine ganz wichtige Rolle und nahm das höchste Risiko auf sich. Was damit gemeint ist, wird Dir, nachdem Du Dich 94 Minuten hast fesseln lassen, klar sein. Noch eine Denkaufgabe, die ich beim Schauen der packenden Doku im Look einer Kriminalkomödie mit auf den Weg gebe: Welcher Gespensterwald der Ostsee spielt hier eine Rolle und welcher Chef einer dänischen Gaunerbande?

Fazit: Diesen authentischer Fall hätte ein Spielfilmdrehbuch nicht besser skizzieren können. Ein Film, der berührt und zum Nachdenken anregt. Großartiges Kino, ein Dank an Vera Maria, die mit dem zweitgeborenen Sohn Hedis befreundet war und somit alles in mühevoller Fleißarbeit und unendlicher Akribie hat recherchieren können.

DERZEIT IN FOLGENDEN KINOS:
Toni & Tonino, Antonplatz 1, Weißensee
Mi, 15.02.23: 20.30 Uhr
Do, 16.02 + Di, 21.02.23, jeweils 18.15 Uhr
So, 19.02.23: 17.30 Uhr

Tilsiter Lichtspiele
, Richard-Sorge-Str. 25A, Friedrichshain
Do, 16.02. – Mi,22.02.23, jeweils 17.45 Uhr

Kino Union, Bölschestr.69, Friedrichshagen,
Mi, 15.02.23: 10.30 Uhr
Do, 16.02.23: 13.15 Uhr
Di, 21.02.23: 13.00 Uhr
Mi, 22.02.23: 13.30 Uhr

Acud Kino, Veteranenstr. 21, Mitte
Mo, 20.02.23 19 Uhr
Mi, 22.02.23 16.30 Uhr

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