Plakat zur Ausstellung: Halt die Ohren steif (Foto: Akademie der Künste/AS)
Ausstellungsplakat mit Schulze Eldowy neben Frank (Foto: AS)

Im Fokus: Die Hottentottenstadt New York

1985 war das Jahr, das den Grundstein legte: Auf einer Sommerparty lernten sich Gundula Schulze, damals noch unverheiratet, und Robert Frank, gebürtiger Schweizer und 1947 nach New York ausgewandert, in Ostberlin kennen. Obwohl Frank rund 30 Jahre älter war, verband die beiden sofort das Leidenschaftliche ihrer Arbeit, der Funke sprang über. Von nun an schreiben sie sich poetische Briefe und Postkarten, schicken sich Fotografien, aber riskieren auch eine Verhaftung Schulze Eldowys, als ein Brief von ihr und 14 Bilder, die über Westberlin nach Amerika gelangen sollten, von der Stasi eigezogen wurden. Jetzt hat diese sie auf dem Radar. Glücklicherweise kam der Mauerfall zu Hilfe.

Frank, schon längst bekannt durch seinen ikonischen Bildband „The Americans“ und nunmehr als experimenteller Filmemacher unterwegs, lädt die junge, in der DDR als aufmüpfig geltende Künstlerin nach New York. Er schreibt Briefe an die amerikanische Botschaft und hofft, dass Schulze Eldowy einen Pass bekommst. „Sag denen, Du hast einen Onkel in Amerika.“ Ihr Dokument wurde dann tatsächlich Anfang 1989 ausgestellt, und sie geht nach NYC.

Von 1990-93 lebt Schulze Eldowy dort, erfährt die Experimentierfreude der Beatniks, lernt neben Allen Ginsberg auch andere bedeutende Künstler kennen, was unmittelbar Einfluss auf ihre Arbeit nimmt. Ihren direkten, präzisen Blick, der sie schon Jahre zuvor auszeichnete, behält sie bei. Nur experimentiert sie jetzt mit Farbe, Polaroids, Belichtungen und Materialbearbeitungen. Ihr Bildästhetik ändert sich drastisch. Auch Tagebuchaufzeichnungen gehören zu besseren Reflexion zu ihrem amerikanischen Alltag, denen ich den Begriff Hottentottenstadt entnahm.

Die Schau Halt die Ohren steif! Gundula Schulze Eldowy und Robert Frank dokumentiert die dreijährige Schaffensperiode der gebürtigen Erfurterin als tiefen Einschnitt in ihr Œuvre. Aufgeteilt ist sie in vier Abschnitte: Im Foyer wird die Doku „The beast in me is Germany“ von Helke Misselwitz, die bis 2014 an der HFF Konrad Wolf in Babelsberg Regie lehrte und den Ur-Prenzlauer-Bergern durch „Wer fürchtet sich vorm schwarzen Mann“ bekannt sein dürfte (gedreht in der heutigen Kohlenquelle) dargeboten. In der dokumentarischen Viertelstunde lesen sich beide Künstler in O-Tönen ihre teils wunderbar poetischen Korrespondenzen vor. Leider klappert das Geschirr vom Akademie-Café im Hintergrund unerfreulich laut und trübt den Seh- bzw. Hörgenuss.

Der erste Raum ist in angenehmem Grünton gestaltet, wo die Videoarbeit „Tamerlan“ zu sehen ist, ein Film über die letzten Minuten im Leben Elisabeth Körders, alias Tamerlan. Eine große Anzahl von Polaroids zeugen von der enormen Neugierde der Fotografin, die übrigens in Leipzig studierte. Besonders beeindruckt hier noch ein Doppelporträt mit Doppelbelichtung von Allen Ginsberg und Peter Orlovsky. Aber auch Frank mit seiner zweiten Frau June Leaf – eine fantastische Künstlerin – fängt Schulze Eldowy enorm atmosphärisch ein. Dazwischen gestreut sind immer Momentaufnahmen von Robert Frank.
Die teils weinroten Wände im zweiten Raum lassen die schwarz weiß Fotos sehr intensiv wirken. Hier steht der New Yorker Fotograf Ted Corner im Mittelpunkt, den Schulze-Eldowy 1992 zur Ausstellungseröffnung New Photography 8 kennenlernt und sich eine Diskussion um ihr Foto zu einer Zangengeburt, das leider nicht präsentiert wird, entspinnt. Im letzten, blau gehaltenen Raum sind sehr große Arbeiten (180×120) mit Mehrfachbelichtungen zu begutachten, die fast als intellektuell gelesen werden können. Mein Highlight dort: Der Abdruck einer Profilschuhsohle, in der sich die Silhouette des Crysler Buildings widerspiegelt.

Schade, dass die Ausstellung erst jetzt konzipiert wurde, so konnte sie Frank, der 2019 starb, nicht mehr miterleben. Aber zumindest wird seinem 100. und dem 70. Geburtstag von Schulze Eldowy in diesem Jahr gehuldigt. Und Du wirst Zeuge einer innigen, sich gegenseitig inspirierender Freundschaft, von der bisher kaum einer etwas ahnte.

Schwarz-weiß Arbeiten von Schulze Eldowy, die zwischen 1977 und 1990 in Ostberlin entstanden, werden übrigens gerade parallel im Bröhan Museum gezeigt. Laufzeit bis 14. April 2024.

ZU SEHEN:
Akademie der Künste;
Pariser Platz, Berlin-Mitte

ZEITEN UND DAUER:
Di – Fr von 14 – 19 Uhr
Sa + So von 11 – 19 Uhr
Fr, 8.3. und Mo 1.4. von 11 – 19 Uhr
bis zum 1. April 2024

EINTRITT:
9 € / erm. 6€
dienstags und jeden ersten Sonntag im Monat frei

Begleitprogramm:
Kurzfilme und Dokumentationen am Sa, 2. und So, 3. März jeweils ab 16 Uhr
in der AdK, Hanseatenweg

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